Advent im November
I.
Während meines Studiums arbeitete ich in einem Weihnachtsladen. An den Wochenenden und in den Ferien. Das ganze Jahr über. Also, vor allem im Sommer, Herbst und Winter. Die Adventswochenenden und die 12-Stunden Schichten waren am härtesten. Stehen ohne etwas zu tun zu haben. Aufpassen, dass nichts geklaut wird. Manchmal Ware nachfüllen. Froh und munter sein. Montags morgens dann mit einem Rolf Zuckowski Ohrwurm im Hörsaal. Doch die Weihnachtsbäckerei wollte sich nicht so recht vertragen mit der Neueren Kirchengeschichte. Oft drückte ich beim Wecker auf den Knopf – und den Kopf wieder ins Kissen. Noch etwas Glitzerstaub der Deko im Haar.
Advent und Weihnachten funktioniert bei mir seither nicht. Nur schwierig. Vor allem nicht zu viel. Vor allem nur ohne Kitsch. Vor allem ohne Müssen. Weihnachten bringt mich aber auch in meinem Theologin-Dasein an meine Grenzen. Satt habe ich die Phrasen, auch den Kommerz, der mir doch mein Studium finanziert hat. Ein Widerspruch, wie ihn nur das Leben hergibt. Es fehlen mir aber auch die Worte, die mich das theologische Paradoxon beschreiben lassen könnten: Das Größte im Kleinsten.
Vielleicht muss man dafür selbst Mutter, Vater, Elter sein. Vielleicht gibt es doch so etwas wie Ostertheolog*innen und Weihnachtstheolog*innen und man muss sich entscheiden. Oder vielleicht bin ich selbst zu viel »metamäßig« unterwegs, fehlt mir ein Kontext, der meine Rede von Advent, dem Kommen des Herren, der Menschwerdung Gottes erden könnte. Advent, Weihnachten bleibt mir ein Rätsel, und die Krippe leer.
II.
In einer meiner Gesprächsrunden der letzten Wochen über Veränderung und Aufbruch der Kirche. Das Ringen um Gründungen — oder Innovationen, wenn man so will. Und dann stand da die Frage im Raum: Was ist das eigentlich für ein Gott, dieser Gott der Veränderung, des Aufbruchs, der Gründung, der Innovation? Woran lässt Gott sich erkennen?
Gott der Kreativität? Gott der Schöpfung? Gott des Wandels? Gott, der einen durch die Wüste ziehen lässt? Einer, der aus Wasser Wein macht? Einer, der aus etwas Brot und ein paar Fischen Tausende satt bekommt? Einer, der Tote weckt?
Ganz langsam, aber immer deutlicher hatte ich einen anderen vor Augen: ist es nicht ein kleiner Gott?
Da war er: Der Gott, der einen ersten, zaghaften Schritt macht. Ein Gott der kleinen Anfänge. Mit Banalem Welten verändernd. Heimlich, still und leise. Mit Alltäglichem, das alles auf den Kopf stellt. Ein Gott der Details. Einer, der uns entgegen kommt. Und vielleicht erst einmal gar nicht erkannt werden will. Ein weihnachtlicher Gott?
Viele der Aufbrüche der Kirche, deren Anwältin und Zeugin ich sein darf, sind »Details« eines größeren Prozesses. Sie sind klein in ihrem Wesen, aber groß in ihrer Wirkung. Nicht nur, weil man ihre Geschichte erzählen kann und sie damit viel bewirken, sondern weil sie Zeugenschaft ablegen für einen Gott, der sich (nach biblischer Tradition) in Windeln in eine Krippe hat legen lassen. Ein Gott des Größten im Kleinen. Ein Gott des Alltags. Viele der Aufbrüche nehmen Teil am Leben von Menschen. Setzen an den Kleinigkeiten des Alltags an, und verändern damit Welten. In dem sie Einsamkeit begegnen. Hunger, Isolation, Gebrochenheit. In dem sie einer Sehnsucht nach Heiligkeit und Heil sein Raum und Zeit geben.
III.
Auch Kulturwandel beginnt im Kleinen. In einem Widerspruch, einer veränderten Tagesordnung, einem ersten Nein bei einem vollen Kalender. Von Kulturwandel ist in Kirche gerade viel die Rede: Dabei diskutieren EKD in diesen Tagen und römisch-katholische Weltkirche in den letzten Wochen händeringend und grauehaareraufend darüber, wie sie »junge Menschen« »wieder« »in die Kirche« »integrieren« können. Die vielen Anführungszeichen deuten nur an, wieviele Fragen ich dabei habe. Denn diese Diskurse ärgern mich zusehends: Da mag man junge Menschen als locus theologicus entdeckt haben, wie bei der Synode in Rom, und damit ihre Erfahrungen als Quelle theologischer Erkenntnis deklarieren. In allem werde ich jedoch den Eindruck nicht los, dass hier Menschen, ihre Themen und Erfahrungen bewusst klein gehalten werden sollen, statt ihnen wirklich zu vertrauen. Doch es kommt noch heftiger: Wenn ich dann z.B. von einer Forderung nach einer »Theologie der Krise« lese, werde ich regelrecht zornig. Was hat die Zukunft der Kirche(n), schon jetzt verkörpert durch die Charismen junger Menschen, mit dem Blick auf einen Mangel zu tun? Ist nicht die Aufgabe der Theologie heute vor allem Generationengerechtigkeit?
Seit einigen Monaten arbeite ich zusammen mit den zwei wunderbaren Kolleginnen Ines und Maren an einer Frage: Wie lernen junge Menschen ihr eigenes Gebetsleben, ihre eigenen liturgischen Formen, eigene Gottesdienste zu gestalten und gemeinsam mit anderen heilige Zeiten und Orte zu gestalten? Herausgekommen ist die Idee zu Segenszeiten. Mit Unterstützung durch das Bistum Hildesheim haben wir am vergangenen Samstag damit begonnen. 12 Teilnehmende haben sich auf das Abenteuer eingelassen, und es wurde für mich persönlich ein Festtag: Angeleitet durch die wunderbare Birgit Mattausch rangen sie mit ihren Worten zwischen Alltäglichem und Heiligem. Alle schrieben aus dem Stand heraus in der zweiten Stunde des Workshops Predigten, die so jeden Gemeindegottesdienst sonntags um 10 bereichert hätten.
Und da war er wieder, der kleine Gott. Wie Weihnachten im November.