Have you ever fucked the system? Über einen unsäglichen Diskurs

Maria Herrmann
3 min readApr 21, 2021

Gestern wurde jener Polizist des Mordes schuldig gesprochen, der den Tod George Floyds durch Ersticken verantwortet. Er kniete 8 Minuten und 46 Sekunden auf dem Hals seines Opfers und das — wenn ich das so drastisch schreiben darf — einfach nur, weil er schwarz war. Während meine Twitter-Timeline voll von Solidarität und Rufen nach Gerechtigkeit ist, liest man verhältnismäßig wenig in den deutschen Nachrichten. Aber etwas anderes lese ich:

Einen seltsamen Rassismus-Diskurs der anderen Art. Normalerweise bin ich relativ zurückhaltend, was interne römisch-katholisch Debatten betrifft. Aber in den letzten Tagen regt sich an dieser Stelle bei mir massiver Widerspruch: Ich halte es für unpassend in den aktuellen Diskurs der Gleichberechtigung von Frauen in der römisch-katholischen Kirche den Begriff des »Rassismus« einzuführen.

Es liegt der Verdacht nahe, dass die Einführung eher auf einen rhetorischen Effekt zielt als darauf, den Diskurs sachgemäß (weiter) zu führen. Und leider geht das auf Kosten eines Begriffs, den man in Deutschland noch ganz gut verdrängen kann – wenn man weiß ist.

Ich kann die Suche nach Wirkung nachvollziehen: Es muss sich etwas bewegen. Und die Tatsache, dass sich in den letzten Monaten und Jahren wirklich nichts bewegt hat, unterstreicht ja die Analyse, dass sich mit den vorliegenden Machtverhältnissen nichts verändern muss. Die Strukturen sind sich selbst genug. Und es zeigt sich in den bischöflichen Reaktionen auf die Aussage von Professorin Rahner, von welcher Vision der Kirche geträumt wird. Genau auf diese Problematik will sie hinweisen.

Dennoch halte ich die Verwendung des Rassismus-Begriffs in der Sache für unangemessen, in der Wirkung für gefährlich. Aus diesen Gründen:

Der Begriff des Rassismus beschreibt die gesellschaftliche Problematik, ungerechte Strukturen auszubauen oder aufrechtzuerhalten aufgrund von äußerlichen Merkmalen basierend auf der Herkunft von Menschen. Während der Begriff der Rasse zunehmend zu hinterfragen ist, scheint der Begriff des Rassismus selbst noch hilfreich zu sein, weil er die Ungerechtigkeit selbst weiterhin vorhanden ist, auch wenn die Beschreibung ihres Systems sich sinnvollerweise verändert (weil sie selbst Teil des Problems ist).

Rassismus ist Teil eines intersektionalen Begriffs des Feminismus. Intersektionalität bedeutet darauf hinzuweisen, dass Menschen oftmals mehreren gesellschaftlichen Strukturen ausgeliefert sind, die sie klein machen und klein halten — unterdrücken, ausliefern, ohne Stimme zurücklassen. Um es mit Funny van Dannen zu sagen: Die lesbische, schwarze Behinderte kann ihre verschiedenen Merkmale und die jeweilige gesellschaftliche Reaktion darauf vermutlich nicht trennen. Viele Diskurse der letzten Wochen und Monate haben auch in Deutschland den Intersektionalität ins Bewusstsein einer breiteren Menge der Gesellschaft getragen. Und das ist gut so und wichtig und kann auch nur ein Anfang sein.

Einen Begriff wie Rassismus zu übernehmen und ihn auf andere Bereiche zu übertragen, ist nicht nur sprachlich unverantwortlich, sondern nimmt etwas vor, das man tunlichst vermeiden sollte: Es nimmt denjenigen, die dem tatsächlichen und täglichen Rassismus ausgeliefert sind — auch in der Kirche –, ihre sowieso schon spärlichen Diskursräume.

Als Menschen deutscher Staatsbürgerschaft (für mich gibt es hier immer noch eine besondere Verantwortung), die aufgrund ihrer Rolle ein verhältnismäßig großes Publikum ansprechen können, ist dies unverantwortlich. Sich der »Rassismus«-Analyse — egal ob rhetorisch oder nicht — anzuschließen ohne zu reflektieren, wie sehr der Diskurs zur Rolle der Frau in Deutschland ein rein weißer Diskurs ist (und übrigens auch einer, der andere Diskriminierungsformen wie z.B. der gegenüber Behinderten ignoriert), kann den Gerechtigkeitsfragen in beiden Kontexten nicht dienlich sein.

Ich hoffe, wir (und an dieser Stelle benutze ich bewusst diese Sprachform) finden andere Weisen, die Brachialität und Ungerechtigkeit der Strukturen in Bezug auf Frauen in der Römisch-Katholischen Kirche anzuklagen und dabei andere Unrechtsstrukturen weder zu übersehen, noch sie zu vereinnahmen.

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