Pause, Präsenz, Vertrauen.

Maria Herrmann
5 min readJul 31, 2024

--

Die Notizen zu meinem Anfangsimpuls beim Podium: »Theologie konstruktiv. Warum Vertrauen eine Option ist. Drei theologische Positionen in der Debatte« (Kooperationsveranstaltung mit Christ in der Gegenwart) bei den Salzburger Hochschulwochen 2024. Es gilt das gesprochene Wort.

Bei den Vorbereitungen für diese Runde wurde mir klar: Für dieses Podium wurde ich angefragt, weil ich in einem kirchlichen Kontext mit Innovationen beschäftigt war. Das ist in diesen Zeiten ein ordentliches Unterfangen. Eines, für das man — Sie ahnen es — viel Vertrauen braucht. Vielleicht sogar Naivität.

Es wurde mir in den letzten Wochen aber deutlich, dass ich für diese Runde noch eine andere Erfahrung mitbringe, die eigentlich noch viel mehr vom Vertrauen erzählt: Nach über zehn Jahren im kirchlichen Dienst habe ich mich Anfang des letzten Jahr zurückgezogen — und Pause gemacht.

Ein Rückzug in ein Leben ohne Kalender. Mit ganz vielen Tagesunordnungspunkten.

Und ein Privileg, wie Sie zurecht für sich bemerken. Eines, das man sich äußerlich leisten können muss. Aber eines, das man sich auch innerlich erst zugestehen muss.

Wer bin ich, wenn ich nicht arbeite?

Wer bin ich, wenn mich kein Klingeln an meine Wichtigkeit und eine neue eMail erinnert?
Wer bin ich ohne meinen Namen auf einem neuen Buchcover?
Wer bin ich ohne Deadlines in meinen Leben?

Ich hoffe, dass ich mit einer solchen Erfahrung hier nicht alleine bin. Sabbaticals sind ja gar nicht (mehr) unüblich — Gott sei Dank!

Und dann gibt es aber noch die Unterbrechungen, zu denen man gezwungen wird. Jene, die man sich nicht aussuchen kann. Nach Kündigungen, mit schwerer Krankheit, zur dringend notwendigen Carearbeit an anderen. Wenn das Leben einmal anders kommt. Vielleicht ist Ihre Erfahrung damit also anders als meine — und eher eine schmerzhafte oder einfach keine gute. Ich hoffe, Sie mögen mir trotzdem weiter folgen.

In meinen freien Monaten habe ich viel nachgedacht. Auch übers Pause machen. Was ziemlich absurd ist, denn… nun ja… eigentlich wollte ich ja… Pause machen. Aber es wurde ein anderes Nachdenken als vorher.

Warum hat das etwas mit Vertrauen zu tun? Und mit konstruktiver Theologie? Möglicherweise mit Christ sein in der Gegenwart. Vielleicht sogar mit der Zukunft der Kirche. Ich will es einmal in aller Kürze versuchen…

Komplexität

Die Welt, in der wir leben und weben, beten und arbeiten, und vielleicht auch Pause machen wird immer komplexer. Eine Floskel, denken Sie? Die lohnt es zu ja immer zu hinterfragen: Was meine ich mit komplex?

Komplex ist nicht einfach viel komplizierter.

Komplexe Probleme sind nicht lösbar. Auch nicht mit unendlichen Mitteln. Es kann nur Annäherungen, Kompromisse, Prozesse, Cokreation dazu geben. Das ist etwas anders als die allgemeine Vorstellung von »Lösung«, finde ich. Ach und: Komplexe Fragen sind nicht einmal hierarchisch lösbar — gerade in römisch-katholischen Kontexten lohnt es sich darauf hinzuweisen. Nur Er-mächtigung kann dann den Anschein geben, eine Frage gelöst zu haben. Oftmals mit viel größeren Problemen zur Folge.

Komplex bedeutet: Viele Elemente spielen eine Rolle. Zu viele, als dass man sie überblicken könnte. Oder dass sie direkt steuerbar wären. Denken Sie als Vergleich an Schwärme von Fischen oder Vögeln, das Internet, einen Urwald. Alles, was darin passiert ist komplex, das heißt: dynamisch, nicht vorhersehbar und ebenso wenig rückgängig zu machen. »Es« entwickelt sich und Veränderung entsteht aus den Umständen und Atmosphären heraus. Nur diese lassen sich beeinflussen. Fachleute nennen dies auch die »Emergenz« — Entstehung. Viele Bereiche in unserem Leben sind heute komplex. Veränderung geschieht nur als Entstehung. Und unsere Rolle darin ist eine enorme Herausforderung, denn das Fehlen des direkten Einflusses wirkt wie ein Kontrollverlust.

Unterbrechung — In der Emergenz stehen

Aus diesem Grund sind es oftmals die Pausen, die Entscheidendes beitragen. Sie helfen Entwicklungen in komplexen Situationen — oder Zeiten — zu beobachten und Entstehungen wahrzunehmen. Tendenzen absehbar zu machen. Hinter Atmosphären zu treten. Und dem eigenen Tun und Lassen auf die Spur zu kommen. Und langsam komme ich endlich auch zurück zum Vertrauen, denn:

Pausen wirken neben dem Blick auf die Situation noch auf etwas anderes hin: Die Sicht auf eine oder einen selbst in diesen Entstehungen. Und mit dem erwähnten Kontrollverlust. Unterbrechungen werden immer wichtiger in Zeiten, in denen das eigene Wirken und die eigenen Fähigkeiten immer mehr hinterfragt werden.

Pausen kultivieren Selbst-Vertrauen.

Wenn ich hier auf das Selbstvertrauen eingehe, dann meine ich damit kein billiges Selbstvertrauen, um mir einmal diese berühmte Qualifizierung bei Bonhoeffer zu leihen. Ein billiges Selbstvertrauen, das auf Kosten anderer geht. Ein lautes mit Federn zum Aufplustern. Eines, das nur davon lebt, andere klein zu halten und zu manipulieren, zu missachten oder zu ignorieren.

Ich meine ein teures Selbstvertrauen, ein — buchstäblich — gesundes. Eines mit Grandezza. Eines, das auch andere nährt. Und eines, das man immerzu üben muss. Ganz ignatianisch immer wieder. Oder auch ganz benediktinisch: Pause ist Präsenz. Nichts mehr zu verbergen. Dem Selbst vertrauen.

Ich meine ein Selbstvertrauen, das beide Seiten der Auferstehung kennt und keine von ihnen vergisst: Die Dunkle und die Helle.

Ein Selbstvertrauen, für das es viele Übersetzungen gibt. Gnade. Gotteskindschaft. Bekehrung. Umkehr. Und wenn Sie wollen auch: Neuevangelisierung — ganz wörtlich.

Ein solches Selbstvertrauen lehrt einen Umgang mit dem Kontrollverlust komplexer Zeiten. Wenn ein vielversprechendes Projekt keine gewünschten Ergebnisse und Effekte erzielt. Wenn eine langjährige Beziehung oder eine Freundschaft zu Bruch geht. Wenn man doch nicht so richtig diese Kirche in ihrer aktuellen Form und Situation retten kann.

Aussicht und Statement

Vielleicht hatten Sie erwartet, dass ich genau darüber spreche. Als jemand, die sich mit kirchlichen Innovationen einmal ausgekannt hat. Wie man Sorge dafür tragen kann, dass das Vertrauen in der Gesellschaft wieder wächst — auch der Kirche gegenüber. Und ebenso in ihr. Dass die verschiedenen Fronten, die es gibt, sich einander annähern. Und Innovationen der Kirche endlich wieder Aufschwung geben. Was auch immer man darunter versteht.

Manchmal denke ich: Vielleicht kann hier genauso eine Unterbrechung helfen — eine Pause. Um einen Umgang mit komplexen Herausforderungen und dem eigenen Kontrollverlust darin zu finden. Und ein gesundes Selbstvertrauen zu fassen. Kein billiges, das klein macht. Sondern eines, das andere wachsen lässt. Heiligt. Heilt. Zu viel und zu oft war Kirche gerade der Ort, an dem anderen klein gehalten wurden. Ganz strukturell. Auch durch körperliche, seelische und geistliche Gewalt.

Und vielleicht ist das ja gerade eine der größten Ressourcen der christlichen Theologie dieser Zeit: Nicht nur für sich selbst und ihre Kirche, sondern auch in einem gesellschaftlichen Kontext: Ihre Pausenkompetenz. Eine Besinnung auf ihre jüdischen Wurzeln und die Kultur des Sabbaths. Eine Pause, die dem Menschen wieder Kraft und Selbstvertrauen schenkt, um die Probleme dieser Zeit anzugehen. Der Kirche und der Gesellschaft.

--

--

Maria Herrmann
Maria Herrmann

Written by Maria Herrmann

Thinking about futures. And eternity.

No responses yet