Tell me more!

Maria Herrmann
5 min readNov 22, 2020

Tell me more. Erzähl mir mehr. Ich darf heute mit Ihnen und Euch laut darüber nachdenken, wie das gut gelingen kann. Was dabei helfen kann, Glaubensthemen gut zu moderieren. Und wie die Kommunikation dialogisch, beteiligend und kreativ gestaltet werden kann. Manches mag für Sie oder Euch aus meinem Munde mehr Erinnerung sein. Sie sind selbst erfahren und vertraut mit verschiedenen Formen der Verkündigung. Geben diese Formen und Gedanken auch weiter. Und manches andere mag heute von mir eine neue Betonung bekommen. Hören Sie es bitte als Motivation, Bestätigung, Nachdruck.

Helfen wird mir dabei ein reicher Schnösel in einer fetten Kutsche. Ein einflussreicher Mann, ein Mächtiger, einer mit einem eigenen Kopf. Ein Mensch mit schwarzer Hautfarbe. Einer, der einer sexuellen Minderheit angehört.

Helfen wird mir ein Blick in die Apostelgeschichte, in das 8. Kapitel. Die Begegnung des Philippus mit dem Äthiopier ist meiner Meinung nach eine zeitlose Hilfestellung für jegliche Form der Glaubenskommunikation.

Ich erinnere kurz an den Plot: Philippus wird von der Heiligen Geistkraft geschickt einen bestimmten Weg zu gehen. Auf diesem Weg trifft er auf einen Äthiopier, der sich gerade auf der Heimreise von Jerusalem aus befand. Dort war er “um anzubeten”. Sie kommen ins Gespräch, als Philippus eine Zeit lang neben der Kutsche her gegangen war und dabei zugehört hatte, wie der hohe Finanzbeamte aus Nordafrika laut aus der Bibel gelesen hat. Gemeinsam und zusammen auf der Kutsche kommen sie ins Gespräch über das Evangelium. Wie das manchmal bei solchen Begegnungen so ist, fahren sie an einer Wasserstelle vorbei und der reiche Beamte bittet um seine Taufe. Am Ende trennen sich ihre Wege wieder.

In dieser Begegnung sind wichtige Aspekte zu entdecken, die online wie offline Geltung in der Glaubensverkündigung haben. Auf drei Punkte will ich mich konzentrieren. Ein erstes.

Zielgruppenorientierung gehört zu den Basics. An der Vielfalt und Kraft des Lebens kommen wir dabei nicht vorbei.

Welche Bilder haben wir von unserem Gegenüber und von unseren “Zielgruppen” der Glaubenskommunikation? Welche machen wir uns? Passen sie in Schablonen? Lassen die Bilder Überraschung und Vielfalt zu? Sind sie auf Neugier ausgelegt?

Da ist dieser Äthiopier, und er ist nicht ein armer schwarzer Mann, den Philippus da *endlich* bekehrt. Er ist ein reicher, einflussreicher Mensch. Und ein Eunuch. Und er hat offensichtlich etwas vor mit sich und seiner Sehnsucht. Er geht seine Wege, und die sind weit: vom Hof der Kandake bis nach Jerusalem. Und nun eben wieder zurück. In Jerusalem war er, um anzubeten, so steht es in der Apostelgeschichte. Und er liest bereits in den heiligen Texten. Es gäbe noch einige Hintergründe zu dieser Person zu nennen. Darauf verzichte ich an dieser Stelle. Aber alleine diese wenigen Details können heute in Bezug auf unsere Fragestellungen hilfreich sein. Denn sie hinterfragen unser Bild von dem Äthiopier. Und von dem Beziehungsgefüge zwischen ihm und Philippus.

Ich bringe hier einmal bewusst auch das Wort der “Augenhöhe” ins Spiel. Es ist übrigens der Äthiopier, der sie herstellt. In dem er zu sich nach oben in die Kutsche bittet.

Wichtig wird deshalb auch die Interpretation des Verses: “Wie könnte ich es, wenn mich niemand anleitet?” Wie viel Anleitung, Begleitung braucht er? Und für was eigentlich genau? Er betet, er liest. Er hat offensichtlich Sehnsucht, die ihn weit reisen lässt. Wie sieht eine angemessene Begleitung im Sinne von Glaubensverkündigung aus?

Ich habe heute Abend keine Antwort darauf, und ich glaube, das lässt sich in der Übertragung auch nur kontextuell beantworten. Aber:

Wenn Sie so wollen, mache ich in diesem meinem ersten Punkt einmal darauf aufmerksam zu reflektieren, wer “Subjekt” und “Objekt” von Glaubenskommunikation ist. Ich hinterfrage einengende Objektivierungen in Bezug auf Verkündigungsprozesse. Und ich stelle die These auf, dass genau das ein Schlüssel sein wird für kreative Formen von Evangelisierung und missionarischem Kirche sein.

Ein zweites:

Content ist wichtig. Doch ohne Beziehung geht nichts.

Mit meinem Hinterfragen der “Objektivierung” gehe ich einen ersten Schritt. Mit meiner zweiten These gehe ich in dieser Richtung weiter und schaue mir den Prozess genauer an. Und ich beobachte, dass der Content schon lange beim Äthiopier in der Kutsche und zuhause lag. Wenn er ein so reicher Mann war, wie es die Beschreibung seiner Position andeutet, wird er keinen Mangel von Lesestoff heiliger Texte erlitten haben. Und wenn er eben aus Jerusalem gekommen ist, wird er auch heiligen Content vor Ort erlebt haben.

So ist es kein Papyrus und auch kein heiliges Gebäude, die unserem Finanzminister einen Bezug zu seiner Sehnsucht schaffen. Darin liegt eine theologische Essenz: Als Christinnen und Christen legen wir Zeugnis ab von einem Gott, der Beziehung ist. Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gelebt. Es hat sich Bezug gesucht. Operativ lässt sich das gut in der Bibel beobachten: Es ist eine Frage, die die beiden, Philippus und den Äthiopier, ins Gespräch bringt. Sowie es bei Jesus häufig Fragen sind, die ihn in einen Bezug zu Menschen bringen. Und die Menschen zu ihm. Das Fragen und das Nachfragen sind der Modus Operandi eines inkarnatorischen und eines trinitarischen Glaubens.

Mit dieser meiner zweiten These hinterfrage ich also den Prozess. Kein Programm, kein Design, keine Flyer, kein Kurs ersetzen die Bezogenheit auf unsere Mitmenschen. Übertragen vielleicht: Keine Social Media Kampagne ersetzt das Nachfragen per Direct Message.


Nachdem ich also die Objektivierung hinterfragt habe und auch den Prozess, ein dritter und letzter Gedanke.

Der Glaubensweg des Gegenübers ist der Ausgangspunkt. Aber am Ende wirst du selbst wo anders stehen.

Ich habe mich in den letzten Jahren viel mit dieser Apostelgeschichte beschäftigt. Dabei ist mir etwas besonders wichtig geworden, das man häufig in dieser Geschichte mit dem Äthiopier überliest: Das, was mit Philippus passiert.

Die beiden stehen zusammen im Taufwasser. So steht es deutlich im Text. Und: Am Ende ist es Philippus, der an einem anderen Ort endet. Vom Äthiopier ist nicht mehr die Rede, und man darf annehmen, dass er seinen Weg weitergezogen ist. Drückt man es drastisch aus und bleibt am Text: Für ihn scheint sich, äußerlich jedenfalls, nichts geändert zu haben. Für Philippus aber schon.

Es ist mehrmals im Text die Rede davon, dass die Geistkraft in Bezug auf Philippus wirkt. Es ist nicht die Rede davon, dass der Äthiopier von dieser erfüllt wird, und ENDLICH zum Glauben kommt. Aber es ist mehrmals die Rede davon, dass die Geistkraft Philippus Wege verändert.

Mit dieser dritten These hinterfrage ich die “Subjektivierung” von Glaubenskommunikation. Und ich möchte Sie und Euch mit folgendem Gedanken vielleicht provozieren, vielleicht motivieren: Wären unsere Formen von Verkündigung, Evangelisierung und Mission vielleicht kreativer, nachhaltiger und gelingender, wenn wir zu aller erst davon ausgehen würden, dass sie uns selbst verändern?


Tell me more. Erzähl mir mehr. So liegen diese Worte in unserer Geschichte vielleicht nicht im Munde des Äthiopiers. Es sind vielleicht die Worte mit denen Philippus in die Kutsche gestiegen ist. Und es sind vielleicht seine Worte, die ihn nach dieser Begegnung weiterziehen lassen.


Tell me more. Erzähl mir mehr.

Erzähl DU mir mehr von DIR.
Von deinem Glauben, deiner Liebe und deiner Hoffnung.
Lass uns gemeinsam schauen,
wie wir in unserem Fragen und Erzählen
Gott neu entdecken können.
Und wo uns das hinbringt.

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